„Mehr Wohnungen, mehr Klimaschutz, weniger Zeit: Wie setzen wir die ambitionierten Ziele der Bundesregierung auf Landesebene und in den Kommunen um?“

Zu diesem Thema tagten die Geschäftsführer aus der Vereinigung baden-württembergischer kommunaler Wohnungsunternehmen (KoWo) am Mittwoch, 4. Mai, in Tuttlingen. Gast der Veranstaltung war unter anderem auch Ministerialrat Dr. Eckart Meyberg, Leiter des Referats Wohnraumförderung im Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen Baden-Württemberg.

Die Tagung beschäftigte sich mit den ambitionierten Zielen der Bundesregierung und deren Umsetzung auf Landesebene sowie in den Kommunen. Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung sieht den Bau von 400.000 neuen bezahlbaren und klimagerechten Wohnungen pro Jahr vor, davon 100.000 Sozialwohnungen. 
KoWo-Vorstandsvorsitzender Peter Bresinski machte deutlich, dass aufgrund des KfW-Förderstopps Neubau- oder Modernisierungsprojekte entweder zurückgestellt oder aufgegeben werden müssen, wenn sich die Preissteigerungen fortsetzen. Der Vorstandsvorsitzende forderte eine technologieoffene, integrale Strategie, welche energetische Quartierskonzepte ermöglicht, die tatsächliche CO₂-Einsparung in den Blick nimmt und sich von überholten Denkmustern einer immer stärker gedämmten Gebäudehülle verabschiedet. „Momentan entsteht zwischen der sozialen Wohnraumbereitstellung und dem Klimaschutz ein Zustand der Konkurrenz und Überforderung“, so Bresinski.

Tuttlingens Oberbürgermeister Michael Beck ging auf die aktuellen wohnungspolitischen Themen sowie Herausforderungen vor Ort ein. Der Krieg in der Ukraine tangiere die Kleinstadt, so das Stadtoberhaupt. In Tuttlingen habe man eine große Anzahl an Geflüchteten aus der Ukraine aufgenommen. Aufgrund der Auswirkungen auf die Baubranche – Stichwort Materialmangel - bezeichnete der Oberbürgermeister die Wohnungsneubauziele der Bundesregierung als schwer realisierbar. „Wenn wir nicht die entsprechenden Instrumente erhalten, drehen sich die Diskussionen in den Städten und Gemeinden erfolglos um dieselben Themen“, mahnte Beck. Er ist jedoch dankbar dafür, dass es die kommunalen Wohnungsbauunternehmen gibt, welche sich durch ihre sozialen Ziele von anderen Akteuren auf dem Wohnungsmarkt positiv abheben. 

Schwierigkeiten gemeinsam bewältigen
Geschäftsführer Horst Riess stellte die Tuttlinger Wohnbau GmbH vor, die seit 80 Jahren besteht und knapp 1.750 eigene Mietwohnungen, über 1.600 verwaltete Eigentumswohnungen sowie Gewerbeimmobilien besitzt.
Horst Riess schätzt die Neubauziele der Bundesregierung als illusorisch ein. 

Quantitative Zielsetzungen werden pulverisiert
Ministerialrat Dr. Eckart Meyberg, Leiter des Referats Wohnraumförderung im Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen Baden-Württemberg, sprach auf der Expertentagung über die komplexen Rahmenbedingungen der Branche, welche sich schwer beeinflussen ließen. In dieser Situation dürften keine zu ambitionierten Ziele und hochgesteckten Zahlen genannt werden, so Meyberg. Es gelte stattdessen an den Stellschrauben zu drehen, die diesen Herausforderungen angemessen begegnen. Dr. Meyberg betonte: „Die Landesregierung liefert Handlungsansätze, wie die Neuauflage des Landeswohnraumförderprogrammes. Die Verbesserungen sind möglicherweise nicht mehr weitreichend genug; die Rahmenbedingungen waren um die Jahreswende noch nicht kalkulierbar. Die Politik hat jedoch das Problem der Branche erkannt und versucht mit den zur Verfügung stehenden Instrumenten zu agieren.“ 

Markus Müller, Präsident der Architektenkammer Baden-Württemberg, beschäftigte sich in seinem Vortrag mit den facettenreichen Herausforderungen der Projektionsfläche Wohnen. Anhand diverser Planungsbeispiele ging er der Frage nach, wie wir einer zukünftigen Gesellschaft gerecht werden können und plädiert in diesem Zusammenhang dafür, „ins Tun“ zu kommen. Hierfür sieht er einen Kulturwandel in der Stadtplanung als ausschlaggebend, um programmatische Visionen, wie beispielsweise IBA-Projekte, umsetzen zu können. Dieser reiche von der Digitalisierung über die Reformation der Planungsinstrumente bis hin zu einem proaktiven Beteiligungsprozess. 

Es darf nicht am Bedarf vorbei gebaut werden
Dr. Reiner Braun, Vorstandsvorsitzender empirica AG, konstatierte, dass rein mengenmäßig Baden-Württemberg ausreichend Wohnungen baue – rund 2/3 mehr Neubau als vor 10 Jahren. Diese befänden sich jedoch nicht unbedingt im preisgünstigen Segment sowie in Regionen, in denen dieser Wohnraum gebraucht würde. Im Zusammenhang mit den Neubauzielen der Bundesregierung plädierte er dafür, den Wohnungsmarkt regional zu betrachten und auf die Gegebenheiten vor Ort zu reagieren. In den Städten würden mehr große Wohnungen für Familien sowie kleinere Single-Haushalte benötigt und die Geflüchteten müssten über Regionen mit Leerstand beziehungsweise ausreichendem Wohnraum informiert werden. Zudem könne sich in einer Schwarmstadt der Durchschnittsverdiener keinen Neubau mehr leisten, sodass sich die Sickereffekte auf dem Wohnungsmarkt reduzierten. 

Podiums- und Publikumsdiskussion: Die Quadratur des Kreises oder „Wir schaffen das?“ - Immense Herausforderungen für die Branche
Der Krieg in der Ukraine hat die bereits zuvor existierenden Herausforderungen der Bauwirtschaft verstärkt: Konjunktur, Lieferengpässe, rasant steigende Materialkosten, mangelnde Verfügbarkeit von Fachkräften sowie Materialien. In diesem Zusammenhang betonte Dr. Meyberg, in der von der Immobilienfachjournalistin Dagmar Lange moderierten Gesprächsrunde, dass die Preise im weltweiten Marktsystem nicht gedeckelt werden können. Im neuen Förderprogramm des Landes werde jedoch eine Dynamisierung der Baupreise gewährleistet.
 
Neubauverschärfungen sind kontraproduktiv
Dr. Reiner Braun sprach davon, dass der Neubau und die Sanierung nicht stranguliert werden dürfe. Er forderte ökonomisches Handeln, durch welches deutlich mehr für das Klima erreicht werden könne. Momentan gäbe es einen sinkenden Grenznutzen, das heißt es wird immer mehr Geld für weniger Nutzen investiert. Das Fördervolumen und die Strategie müssten auf den Bestand gelenkt werden. Peter Bresinski stimmte zu und plädierte für keine weiteren Verschärfungen des Neubaustandards. Dem entgegnete Dr. Volker Kienzler, dass man sich der neuesten Standards im Gebäudesektor bedienen müsse, um die Klimaziele zu erreichen. Bresinski sieht hierfür ebenfalls die Energiewirtschaft und den Umstieg auf regenerative Energien in der Pflicht. 

Eigentümerstruktur von Bestandsgebäuden berücksichtigen
Die Eigentümer von Bestandsgebäuden sind häufig bereits im Rentenalter und möchten in der Regel keine energetischen Sanierungen mehr durchführen. Üblicherweise wird erst saniert, wenn es zu einem Eigentümerwechsel kommt. Es wurde darüber debattiert, wie diese Personengruppe erreicht werden kann, sodass sich die Sanierungsquote sowie -geschwindigkeit im Bestand erhöhen. Das Plenum diskutierte unterschiedliche Anreize, wie zum Beispiel ordnungsrechtliche Maßnahmen, die Umlagefähigkeit von energetischen Sanierungen auf die Mieter, Subjektförderung sowie die Frage der Gerechtigkeit. 

Roadmap bis 2045
„Wir brauchen für den Gebäudesektor eine Roadmap bis 2045. Mit klaren Zuständigkeiten und mehr Kooperationen auf allen Ebenen“, sagte Dr. Braun. Markus Müller forderte, dass gesetzte Ziele realistisch eingeschätzt werden, Ambitionen nicht verfehlt und der Ehrgeiz beibehalten wird. „Wir sollten unsere privilegierte Situation in der Wohlstandsgesellschaft nutzen und Innovation und Transformation leben“, so Müller. Hierbei erhoffe er sich programmatische Impulse in der Stadtplanung, wie es beispielsweise IBA-Projekte initiieren. Peter Bresinski betonte, dass früher deutlich schneller gebaut wurde. Heute würden unter anderem Regularien, Bauvorschriften oder auch Bürgerbegehren das Bauen bremsen. „Demokratische Entscheidungen dürfen nach einigen Jahren nicht wieder rückgängig gemacht werden“, forderte Bresinski. 

Über die KoWo
In der Vereinigung baden-württembergischer kommunaler Wohnungsunternehmen, kurz KoWo, haben sich rund 60 kommunale und landkreisbezogene Wohnungsunternehmen zusammengeschlossen. Sie verwalten über 140.000 Mietwohnungen und gehören mit einem Investitionsvolumen von mehr als 940 Millionen Euro zu den wichtigsten Auftraggebern der heimischen Bauwirtschaft. Die Durchschnittsmiete der kommunalen Wohnungen liegt bei 6,63 Euro pro Quadratmeter. Die Unternehmen sind zudem mit gut 80 Prozent Hauptabnehmer der Mittel aus dem Landeswohnraumförderungsprogramm, um günstige Neubauwohnungen zu schaffen. Ziel der seit 1990 bestehenden Vereinigung ist es, ihre spezifischen Interessen auf Landesebene zu vertreten und zu bündeln.

www.kowo-bw.de

Bild: Von links nach rechts: Dr. Volker Kienzlen (Geschäftsführer KEA Ba-Wü), Dr. Eckart Meyberg (Ministerialrat, Leiter des Referats Wohnbauförderung im Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen Ba-Wü), Markus Müller (Präsident der Architektenkammer Ba-Wü), Peter Bresinski (Vorsitzender der KoWo und Geschäftsführer der GGH), Dr. Reiner Braun (Vorstandsvorsitzender empirica AG) und Ingo Hacker (Bürgermeister Neuhausen auf den Fildern, für den Gemeindetag Ba-Wü) – Foto: Corinna Hoffmann, Tuttlinger Wohnbau GmbH

Dr. Volker Kienzlen, Ministerialrat Dr. Eckart Meyberg, Markus Müller, Peter Bresinski, Dr. Reiner Braun und Ingo Hacker (v.l.n.r.)
Dr. Volker Kienzlen, Ministerialrat Dr. Eckart Meyberg, Markus Müller, Peter Bresinski, Dr. Reiner Braun und Ingo Hacker (v.l.n.r.)

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