Flughöhe bei Wohnungsbau und Klimaschutz erreichen

Was ist aus Sicht kommunaler Wohnungsunternehmen und der Politik machbar und notwendig, um gemeinsam für ausreichend bezahlbaren Wohnraum einzutreten und den Klimaschutz zu stärken? Diese Frage stand im Mittelpunkt der Tagung der Vereinigung baden-württembergischer kommunaler Wohnungsunternehmen.

Bereits in der Begrüßung der Tagungsteilnehmer bat Esslingens Erster Bürgermeister Ingo Rust die Politiker: „Geben Sie den Akteuren vor Ort möglichst viel Spielraum, um die in den Städten unterschiedlichen Probleme auf unterschiedliche Art zu lösen.“ 

„Big Tickets“ werden nicht angegangen
„Die Wohnungswirtschaft soll die sozialen und ökologischen Themen für die Gesellschaft stemmen: günstigen Wohnraum, auch mitten in den Innenstädten, bezahlbar für viele Schichten und höchsten energetischen Anforderungen genügend“, so Peter Bresinski, Vorsitzender der KoWo und Geschäftsführer der GGH Heidelberg. Jedoch fehlen hierfür Baugrundstücke und Fachkräfte, während die Baukosten steigen, die Auflagen zunehmen und die Verfahren immer länger dauern. Peter Bresinski: „Trotz großem Handlungsdruck bilden wir lediglich weitere Arbeitskreise, anstatt die allseits bekannten Big Tickets zur Erleichterung und Beschleunigung des Bauens und Sanierens anzugehen.“

Das als „Meilenstein“ gepriesene Gesetz zur Mobilisierung von Bauland bringt einige Erleichterungen. Es weitet aber auch die staatliche Regulierung aus, anstatt die für die Wohnungswirtschaft entscheidenden Rahmenbedingungen in den Fokus zu nehmen. Die Kostensteigerungen bei den Baustoffen von 10 bis 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr führen bereits dazu, dass kommunale Wohnungsunternehmen und Genossenschaften in Baden-Württemberg Projekte zurückstellen müssen, weil sie nicht mehr wirtschaftlich sind. 

„Überbietungswettkampf“ beim Klimaschutz
Beim Klimaschutz hat sich fast der gesamte Rahmen aus Gesetzen und Förderprogrammen innerhalb der letzten 20 Monate geändert. Zugleich findet ein Überbietungswettkampf statt, bis wann die Klimaneutralität erreicht sein soll. Peter Bresinski: „Die kommunalen Wohnungsunternehmen sind Dienstleister mit breitem Angebotsspektrum und starke Partner ihrer Städte. Wir wollen unseren sozialen Auftrag mit noch stärkerem Engagement im Klimaschutz verknüpfen. Geben Sie uns die Möglichkeiten und die Zeit, dies tun zu können. Unsere Leistungsfähigkeit wird durch politische und gesetzliche Anforderungen gefährdet.“

„Sozial-ökologischer Aufbruch“
Die Diskussionsrunde mit Susanne Bay (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Tobias Wald (CDU), Daniel Born (SPD) und Friedrich Haag (FDP) moderierte Markus Müller (Präsident der Architektenkammer Baden-Württemberg) mit Peter Bresinski. Am Beginn stand eine Bewertung des Koalitionsvertrags. „Der Klimaschutz bewegt die CDU schon viele Jahre“, so Tobias Wald. Das Thema „Heimat schaffen“, sozial und ökologisch ausgerichtet, stehe über allem. Das breite Wissen der wohnungswirtschaftlichen Verbände, der Architektenkammer und des Mieterbunds sowie die Ideen aus der Wohnraum-Allianz seien in den Vertrag eingeflossen. Für Daniel Born „atmet der Koalitionsvertrag Ideen eines sozial-ökologischen Aufbruchs“. Die SPD hätte allerdings mehr Ehrgeiz im sozialen Wohnungsbau entwickelt und die öffentliche und gemeinnützige Wohnungswirtschaft gestärkt. Friedrich Haag vermisst Elemente aus dem CDU-Wahlprogramm wie die Absenkung der Grunderwerbssteuer. Er sagt: „Klimaschutz steht für uns unter der Prämisse, dass er sich wirtschaftlich trägt“. 

Zu den Kosten des Klimaschutzes stellte Susanne Bay fest: „Was wir heute ökologisch versäumen, wird irgendwann ein soziales Problem. Wir müssen die richtigen Weichen stellen, sonst überrollen uns die gesamtwirtschaftlichen Kosten.“ Sie setzte sich für zukunftsweisende Gesetze ein, die auch die Lebenszyklusbetrachtung und die graue Energie einpreisen. „Wir führen diese Debatte und müssen Regelungen finden. Kritische und begleitende Worte mitzunehmen ist wichtig.“ Sowohl Markus Müller als auch Friedrich Haag wiesen auf die notwendige Planungsperspektive für Investoren hin. Einigkeit herrschte darin, dass der Klimaschutz in der Wohnungswirtschaft eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist.

Tempo und Operativität gefordert
Viel Raum in der Debatte nahm der ressortübergreifende Strategiedialog „Bezahlbares Wohnen und innovatives Bauen“ ein. Während die Wohnungsunternehmen zweifeln, dass damit schnell Ergebnisse erzielt werden, warb Tobias Wald: „Wir wollen diese Themen gesamtgesellschaftlich diskutieren, in Vorgaben gießen und gemeinsam umsetzen. Nur so schaffen wir sozialen Frieden, einen fairen Ausgleich zwischen Mieter und Vermieter sowie Klimaschutz.“ Peter Bresinski kritisierte, dass mit der Wohnraum-Allianz Zeit verloren wurde. Tobias Wald hätte sich zwar mehr konkrete Vorschläge gewünscht, ist jedoch auch der Ansicht: „Wir sind in vielen Bereichen, z.B. bei der Förderung, weit gekommen.“ Wichtig sei, dass die Politik nicht nur Ziele formuliert, sondern auch handhabbare Übersetzungen bietet, forderte Markus Müller.

„Es ist richtig, Betroffene zu Beteiligten zu machen“, sagte Daniel Born. „Ich bin aber nicht bereit, Beteiligungsformate als Feigenblatt dafür zu nutzen, dass man im parlamentarischen Geschehen und im Regierungsgeschehen nicht vorankommt.“ Susanne Bay setzte sich für einen „Transformationsprozess“ beim Bauen und Wohnen ein. „In der Wohnraum-Allianz haben wir uns gelegentlich zu sehr ergangen in Debatten. Wir müssen beim Dialog dazu kommen, dass die, die das Thema betreiben, miteinander reden.“ Markus Müller und Peter Bresinski forderten, dass das Gremium schnell „Flughöhe“ erreicht und auch nicht verlässt. Peter Bresinski warnte: „In der Wohnraum-Allianz ist in den Arbeitsgruppen um Halbsätze gerungen worden, die im Nachhinein wieder ausgehebelt worden sind“. Es habe zu viele Kompromisse schon vor dem parlamentarischen Prozess gegeben. „Wir müssen viel Wirkung erzeugen, anstatt bei den Standards immer höher zu gehen.“

Entscheidungen müssen akzeptiert werden
Das Wohnraumproblem besteht in den Ballungsgebieten. Für Friedrich Haag gibt es nur zwei Möglichkeiten: eine massive Ausweitung der Bauflächen und einen Ausbau bzw. eine attraktivere Gestaltung ländlicher Regionen. Er warnte: „Es dürfen nicht nur Bauflächen ausgewiesen werden; das Drumherum muss mitwachsen.“ Tobias Wald wies auf Förderprogramme für Innenentwicklung und den ländlichen Raum hin sowie die Fortschreibung des Landesentwicklungsplans – ein großer Beteiligungsprozess der Kommunen, Verbände und Menschen. Dies führte zur Diskussion über Bürgerbeteiligung. „Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir die Bürgerbeteiligung weiterentwickeln“, so Tobias Wald. „Anliegerdemokratie spielt immer mehr eine Rolle. Nachbarn sind oft gegen eine Nachverdichtung, und die neuen, jungen Familien haben keine Stimme.“

Eine systematische Fortentwicklung alter Bebauungspläne bietet für Susanne Bay die Möglichkeit, im Vorfeld und unabhängig von konkreten Bauvorhaben die Menschen mitzunehmen. „Man kann einiges abfangen mit früher Bürgerbeteiligung, auch wenn es mühsam ist“, so Susanne Bay. Daniel Born unterstützte einen „Modernitätscheck“ der Bebauungspläne und warb für die Stärken von Beteiligungsprozessen. Markus Müller und Peter Bresinski kritisierten, dass dadurch Verfahren auch verzögert und Themen juristisch auf die Spitze getrieben werden. Ein definiertes Ende von Beteiligungsprozessen forderte Friedrich Haag: „Wenn mit einem Ergebnis einer Diskussion nicht alle zufrieden sind, geht das Thema von vorne los.“ Insgesamt schlankere Prozesse befürworten alle Teilnehmer. Peter Bresinski: „Entscheidungen müssen akzeptiert werden können.“

Große Erwartungen
Zum Abschluss betonte Daniel Born, dass das „Menschenrecht“ des Wohnens unter Druck geraten ist und der Markt allein keinen ausreichenden Zugriff schafft. „Wir müssen den Markt so strukturieren, dass es möglichst viele Teilnehmer gibt und eine starke öffentliche Verantwortung herrscht. Wir wollen eine klare Ordnung auf dem Mietermarkt, um bezahlbares Wohnen für alle zu sichern.“ Susanne Bay sah kein Marktversagen, unterstützte aber ebenfalls den Eingriff des Staates, weil der Markt beim Wohnen nicht alle versorge. Sie warb für ein „atmendes System“ und sagte: „Wir haben einen fairen Ausgleich zwischen Mietern und Vermietern im Koalitionsvertrag festgeschrieben.“ Markus Müller fasste zusammen: „Die Erwartungen an die Politik und die Verantwortung der Politik waren noch nie so groß wie aktuell. Wir müssen in den nächsten ein, zwei Jahren den großen Sprung nach vorne machen.“ Notwendig sind Instrumente, mit denen die Themen Wohnen und Klimaschutz schnell in die Fläche gebracht werden können und die alle Akteure motivieren. 

Stark im Neubau
Aus der Unternehmenspraxis berichteten bei der Tagung Hagen Schröter, Geschäftsführer der ESSLINGER WOHNUNGSBAU GMBH (EWB) und Samir Sidgi, Geschäftsführer der Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft mbH (SWSG). Sie verfolgen wie alle kommunalen Wohnungsunternehmen einen Dreiklang aus Sozialem, Ökologie und Ökonomie. „Die EWB steht für mehr Wohnen in Esslingen“, so Hagen Schröter. „Wir setzen auf der Angebotsseite an.“ Hierfür hebt das Unternehmen Baupotenziale im eigenen Bestand durch Nachverdichtung und Aufstockung und setzt auf schnelleres Bauen durch serielle Fertigung. Die EWB hat gute Erfahrung mit Holzmodulbauweisen auf „Restgrundstücken“ in der Stadt und dabei die Bauzeit von 10 auf 6 Monate reduziert.
Die SWSG hat einen Wachstumskurs eingeschlagen und die zweithöchste Neubauquote aller kommunalen Wohnungsunternehmen in Deutschland. Samir Sidgi: „Es ist wichtig, konzeptionelle Antworten zu finden für die Wohnraumknappheit.“ Es ginge nicht nur darum, viele Wohnungen zu realisieren, sondern auch um einen Beitrag zur städtebaulichen Diskussionskultur. Über Stadtentwicklungsmaßnahmen werden weitere soziale Ziele erreicht. Er forderte zudem Unterstützung aus Verbänden, Gremien und Politik, um die Nachverdichtung zu fördern. Bei der Klimaneutralität forderte er eine Diskussion über den Weg dahin ein: „Investitionsentscheidungen heute dürfen uns nicht in Zukunft schaden.“

Herausforderung Klimaneutralität
Die kommunalen Wohnungsunternehmen haben auch eine große Rolle in der Initiative Wohnen.2050. Felix Lüter, Geschäftsführender Vorstand, stellte diesen Zusammenschluss aus Wohnungsunternehmen zur Erreichung eines klimaneutralen Wohnungsbestands vor. „Wir müssen unser Knowhow zusammenwerfen, damit wir erfolgreich sein können. 24 Jahre sind bei unseren Investitionszyklen sind sehr kurz.“ Der Wohnungssektor ist bereits ein Leistungsträger beim Klimaschutz und hat in den letzten 30 Jahren 60 Prozent an CO2-Emissionen eingespart. Die Initiative unterstützt ihre Mitglieder mit einem intensiven Erfahrungsaustausch und bei der Entwicklung von Klimastrategien. Festzustellen ist jedoch auch: 100 Prozent Einsparung an CO2 ist nur mit regenerativer Energieversorgung möglich. 

Über die KoWo
In der Vereinigung baden-württembergischer kommunaler Wohnungsunternehmen, kurz KoWo, haben sich rund 60 kommunale und landkreisbezogene Wohnungsunternehmen zusammengeschlossen. Sie verwalten über 140.000 Mietwohnungen und gehören mit einem Investitionsvolumen von mehr als 940 Millionen Euro zu den wichtigsten Auftraggebern der heimischen Bauwirtschaft. Die Durchschnittsmiete der kommunalen Wohnungen liegt bei 6,63 Euro pro Quadratmeter. Die Unternehmen sind zudem mit gut 80 Prozent Hauptabnehmer der Mittel aus dem Landeswohnraumförderungsprogramm, um günstige Neubauwohnungen zu schaffen. Ziel der seit 1990 bestehenden Vereinigung ist es, ihre spezifischen Interessen auf Landesebene zu vertreten und zu bündeln.
 

Die Teilnehmer v.l.n.r.: Peter Bresinski (Vorsitzender KoWo/ Geschäftsführer GGH), Tobias Wald (CDU), Susanne Bay (Bündnis 90/DIE GRÜNEN), Daniel Born (SPD), Friedrich Haag (FDP) und Markus Müller (Präsident der AKBW)

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